Es lebe das Buch! – Es lebt!

Der Literatur-Talk am Barnim ging in die zweite Runde – 19. Januar 2017

Eine Rezension von Maggie Werner

 

Da saß es nun auf der Aula-Bühne und setzte sich in Szene, das Literarische Schülerquartett - Luis Günther, Hien Vu Thu, Ricardo Rinne und Julia Schulze (v.l.n.r.). Der Bücherstreit zwischen den vier Literaturkritikern aus den 11er-Deutsch-Leistungskursen konnte beginnen. Und das tat er – coram publico.

Der eher schüchtern wirkende Luis präsentierte seinen derzeitigen Favoriten: Das Lied von Eis und Feuer. Nie gehört von der auf dem europäischen Mittelalter basierenden Fantasy-Saga George R.R. Martins? Oh doch, wahrscheinlich haben Etliche von Euch den einen oder anderen Teil der so erfolgreichen Game of Thrones-Serie längst gesehen. So what? Movie is movie and book is book, mag sich Luis im Vorfeld gedacht haben und machte sich ans Werk. Er bereitete das fiktive Universum auf, las ein Stückchen vor, stellte die prinzipalen Protagonisten vor und zur Debatte, beispielhaft und beispielgebend: Die Figur des Prinzen sei im Ersten Teil als sunny boy, doch eher als evil boy im Zweiten Teil charakterisiert worden. Damit traf er wohl das Grundanliegen des Autors, wie mir scheint: Jeder Mensch und jede Gesellschaft hat eine dunkle Seite. Bravo! Er fand das gesamte Oeuvre von G.R.R. Martin manchmal zu langatmig oder verwirrend in seiner Komplexität, doch letztlich empfehlenswert, womit er im Wesentlichen die Zustimmung der anderen drei des Quartetts errang und mit seiner nachdenklichen Buchvorstellung das Publikum zum Lesen von A Song of Ice and Fire animieren konnte. Vielleicht gar im Original?!

Die zweite in der Runde, Hien, hatte sich eine Art Spukgeschichte ausgesucht, den Roman Das Parfum, von Patrick Süskind. Harter Tobak für eine 17jährige! Allein all die französischen Namen richtig auszusprechen, bedeutete schon eine Challenge. Doch ihr gelang das hervorragend, was das restliche Terzett eher sprachlos machte. Die fiktionale Biographie des trotz aller Untaten bedauernswerten Jean Baptiste Grenouille (Grnuij) – eklig, glitschig wie ein Frosch, Nomen est Omen – wird in vier Teilen dargestellt, wie Hien nach ihrem gelungenen Vortrag eines kurzen Auszugs anmerkte: Lehr-, Wander-, Meisterjahre und am Ende? Wie gewonnen, so zerronnen. Der geniale Psychopath (so die allgemeine Erkenntnis) – ohne Eigengeruch, aber mit einem phänomenalen Geruchssinn versehen – kann immer nur der Nase nach und muss letztlich drauffallen: man kann ihn halt nicht riechen! Oder nur unter betörenden Umständen. Während Hien die Narration meistens als spannend empfand, fand einer ihrer Widerparts sie eher langweilig, ein anderer empfand so manches überflüssig. Eh bien – Gefallen ist nicht Pflicht! Doch Hien hat offensichtlich ein gutes Näschen für die metaphorische Erzählkunst Süskinds entwickelt. Chapeau, ma Chère! Wie wär’s, die etwas gruselige Geschichte des größten Parfumeurs aller Zeiten selbst zu entdecken und dabei eine petit Tour de France zu machen? Sehr empfehlenswert! Und nicht vorher den Film angucken!

Der dritte im Bunde, Ricardo, präsentierte die nächste Fantasy-Horror-Story – allerdings anglophil geprägt: Die Insel der besonderen Kinder, in der deutschen Übersetzung, von Ransom Riggs. Einst inspiriert durch seinen Storyteller-Großvater Abraham (aha?!), begibt sich der sympathisch angelegte Neffe Jacob (aha?!) Jahre später auf die Insel und entdeckt dort tatsächlich inselbegabte Kinder; findet sich in einer anscheinend ehernen Welt wieder, die immer noch oder schon wieder (?) von Monstern bedroht wird. Die Zeit scheint still zu stehen oder wiederholt sie sich in Zeitschleifen?! Die Zeitreisen sind faszinierend, die Atmosphäre ist schaurig, die Bilder sind fantastisch – so die einhellige Meinung des Quartetts. Welche Bilder? Die, die der Autor mit seiner Mystery-Story kreierte, oder die alten Fotos, die er dort nicht umsonst platzierte, oder doch eher die der Verfilmung? So richtig einig konnten sie sich nicht werden, die Vier. Auch nicht darüber, ob nun eher für Teenager verfasst oder doch auch für History hinterfragende Großeltern? Anyway, auf alle Fälle skurril bereichernd, so Ricardos Meinung. Testet selbst: erst das Buch, dann den Film, bitte!

Am Ende der literarischen Jamsession dann Julias Part mit James Freys Bestseller-Trilogie Endgame. Am Anfang stand the very beginning der Auserwählten – gute Wahl, sehr gut gelesen, guter Einstieg in den Endzeitroman: Zwölf Meteoriten schlagen ein, irgendwo auf unserem Globus. Zwölf Auserwählte sind gefordert. Nur einer kommt durch und damit sein Volk. Kein Zweifel, das Endspiel der Menschheit hat begonnen, ein Spiel um Leben und Tod. Wer gewinnt es? Spielmacher oder Spieler? Nur der kann gewinnen, der den Schlüssel – d.h. drei an der Zahl – findet, der Rätsel Lösung. Für Julia zeigt sich die märchenhafte Dystopie als bedeutungsschwanger: Anspielung auf den Bevölkerungsüberschuss? Die Reinigung der Welt? Luis fand den Anfang weder anregend noch überzeugend, doch das gesamte Werk schon spannend – so wie die anderen auch – bei aller Kritik: Überfordert der Perspektivwechsel den Leser? Sind die überraschenden Beziehungsebenen und die vielen Charaktere zu viel des Guten? Sind die Krypto-Rätsel-Links eher störend, gar überflüssig? Ist das Ende zu apokalyptisch? Aber bitte keine Vorurteile. Man diskutiert ja nur. Jeder entscheidet selbst. Am Ende der Debatte fragte sich Luis, ob er das moderne Märchen einfach nicht mögen wollte. A la Frey selbst: Eine echt krasse Story. Eine Story, die das ganze Universum umfasst. Eine Story, wie man sie noch nie gehört hat. Tatsächlich?

Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Was für eine zauberhafte Diskussion der Viererbande! Animierend allemal, sich dem Buch hinzugeben, so der allgemeine Tenor. Ein gelungener Abend, was nicht nur der Applaus der rund 35 Zuhörer/innen bewies, sondern auch der klug hinterfragende Jannes Ehrlich. Das Buch ist ganz und gar nicht tot, konstatierte – den Debattier-Club lobend – Herr Schmidt-Ihnen. Frau Pechstein und Herr Bierotte genossen den Abend ebenso. Ganz zu schweigen von der auf die Schüler/innen so stolzen LK-Deutsch-Lehrerin, Frau Geißler. Ein Glücksmoment!

 

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